Eines der Aufregerthemen der vergangenen Woche schwappte aus dem Alpenvorland nach Berlin. Pünktlich zum Start der Automesse IAA in München präsentierte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder über die Bild-Zeitung einen 10-Punkte-Plan für Deutschlands größte Industrie. VW, Mercedes-Benz und BMW schüttelt es bekanntlich gerade ordentlich durch, unter anderem aufgrund höherer Zölle, eines ruinösen Preiswettbewerbs im wichtigen chinesischen Markt und eines holprigen Übergangs zur Elektromobilität in so ziemlich allen europäischen Ländern abgesehen von Norwegen. Bild beschrieb Söders Plan pflichtschuldig als “radikal”, was er allerdings auch bei wohlwollender Betrachtung nicht wirklich war. Es handelte sich vielmehr um eine bunte Sammlung verschiedener Ideen, die so oder so ähnlich bereits auf dem Tisch lagen oder von verschiedenen Seiten gefordert wurden. Doch die mediale Attacke noch vor der IAA-Eröffnungsrede von Kanzler Friedrich Merz verfehlte ihre Wirkung nicht. Insbesondere Söders Forderung, das von der EU für 2035 geplante Verbrenner-Verbot zu kippen, erzürnte erwartungsgemäß nicht nur Umweltverbände, sondern auch weite Teile des Koalitionspartners SPD. Die traditionelle Automesse IAA hat ihre Unbeschwertheit verloren. Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg Als die EU Anfang 2023 beschloss, dass ab 2035 nur noch Neuwagen verkauft werden dürfen, die lokal emissionsfrei fahren, beinhaltete die Vereinbarung auch eine Überprüfung der Ziele, beispielsweise um zu analysieren, ob an diesem Ziel festgehalten werden kann oder ob etwa die Entwicklung von Hybridantrieben berücksichtigt werden sollte. Was nicht ganz abwegig erscheint, wenn man sich die enormen Wachstumsraten von Hybridantrieben im Elektroauto-Vorzeigemarkt China anschaut. Söder will diese Überprüfung jedenfalls nutzen. Die Provokation aus Bayern saß bei einigen Genossen tief, noch bevor Merz in München überhaupt ans Mikrofon getreten war. In Hintergrundgesprächen in Berlin machte man dem Ärger Luft und wies darauf hin, dass Deutschland eine parlamentarische Demokratie und keine Monarchie sei, in der Landesfürsten allein entscheiden können. Die Zukunft der Autoindustrie sei nun mal elektrisch. Im Gegensatz zu Söder forderte Merz in seiner Rede zum Auftakt der IAA dann keine Abschaffung des Verbrennerverbots, sondern lediglich eine “flexiblere” Regulierung auf EU-Ebene. Dies stand im Einklang mit dem am 5. Mai auch von der SPD unterzeichneten Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode (mit dem selbstbewussten Titel “Verantwortung für Deutschland”). Dieser enthält neben einem Bekenntnis zur E-Mobilität samt neuen Kaufanreizen auch den Ausdruck der “Technologieoffenheit”. Also keine reine Fokussierung auf ausschließlich batteriebetriebene Autos. Ein Insistieren auf das Verbrennerverbot dürfte es der SPD nicht einfacher machen, die Unterstützung innerhalb der Belegschaft von Autoherstellern und Teilelieferanten wiederzugewinnen. Einst waren die von der IG Metall dominierten Werkshallen von Volkswagen & Co. ein einflussreiches Kraftzentrum der SPD. Doch der Wind hat sich gedreht. Seit Juni des vergangenen Jahres hat die Autoindustrie mehr als 50.000 Arbeitsplätze in Deutschland verloren. Viele Arbeiter haben sich von der Partei abgewandt, die ihren Ursprung im 1863 gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein bzw. der 1869 gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei hat (die sich später zusammenschlossen). Abseits der Berliner Parteizentralen kam es angesichts der drohenden weiteren Erosion der Industrie hierzulande diese Woche zu einem seltenen Schulterschluss: Die IG Metall und der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA), die sonst selten einer Meinung sind, veröffentlichten ein gemeinsames Statement. Zwar sei die Frage, wie Arbeitsplätze gesichert werden können, “politisch umstritten”. Doch man sei sich einig, dass sich an den Rahmenbedingungen dringend etwas ändern müsse. “IG Metall und VDA fordern die Politik auf nationaler und europäischer Ebene auf, rasch die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, um die Lage zu stabilisieren und der deutschen Automobilindustrie zu ermöglichen, ihren eingeschlagenen Weg zu klimaneutraler Mobilität mit guter Beschäftigung in Deutschland fortzusetzen”, so IG Metall und VDA in ihrem Statement. Dies betreffe hauptsächlich zwei Punkte: Die Politik müsse endlich die Rahmenbedingungen für Elektromobilität in ganz Europa schnell und umfassend verbessern. Und “sie muss die CO₂-Regulierungen flexibilisieren.” Lesen Sie auch eine Auswahl unserer Artikel dieser Woche: No risk, no fun, Rüstungs-Kaufhaus, Moderator gesucht, Ironman-Zukunft und Vertrauter Fremder. |